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Antwort des Bundesministeriums der Justiz
auf meine Anfrage zur Suizid-Beihilfe

 

Berlin, 9. Oktober 2007

Sehr geehrte Frau Bernstein-Bothe,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 27. August 2007, mit der Sie um Darlegung der Rechtslage zur Suizid-Beihilfe bitten.

Da der Suizid selbst straflos ist, ist nach deutschem Recht auch die bloße Beihilfe zu einer Selbsttötung grundsätzlich straflos. Dabei darf es sich aber wirklich nur um eine reine Beihilfehandlung (z. B. dem Besorgen von legal zugänglichen Medikamenten) handeln, bei der der Suizidwillige die Tötungshandlung selbst vornimmt, nachdem er sich freiverantwortlich für diesen Weg entschieden hat.

Die von Ihnen angesprochene und befürwortete Suizidbeihilfe durch Ärzte ist den deutschen Medizinern allerdings nach ihrem Standesrecht untersagt (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Deutsches Ärzteblatt 2004, A 1298). Dies entspricht ihrem Selbstverständnis, Leben zu schützen und nicht zu beenden. Falls Sie nähere Fragen zu diesem berufsrechtlichen Problemkreis haben sollten, bitte ich Sie, sich an das insoweit zuständige Bundesministerium für Gesundheit zu wenden.

Ein Arzt kann sich im Zusammenhang mit einem Suizid allerdings dann strafbar machen, wenn er einen bewusstlosen und damit hilflosen Suizidenten antrifft und diesem nicht versucht zu helfen. Denn hier greift die grundsätzliche Pflicht des Arztes, Leben zu retten. Eine solche - grundsätzliche - Hilfspflicht trifft im Übrigen auch jede andere Person, da ein Suizid aus strafrechtlicher Sicht ein Unglücksfall ist, bei dem jeder Hilfe leisten muss, soweit ihm dies den Umständen nach zuzumuten ist (vgl. § 323 des Strafgesetzbuches - Unterlassene Hilfeleistung). Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn der Arzt oder der Dritte sicher weiß, dass der Betroffene wohlüberlegt und freiverantwortlich sich für seine Selbsttötung entschieden hat und - anders als bei einem "Appellsuizidversuch"- gerade nicht mehr gerettet werden will. Denn hier erkennt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunehmend an, dass dem Willen des Suizidenten eine wichtige Bedeutung für die Frage beizumessen ist, ob ihm noch geholfen werden muss oder nicht, wobei aber letztlich die konkreten Umstände des Einzelfalles maßgebend sind.

Im Übrigen meine ich, dass der berechtigte Wunsch nach einer selbstbestimmten, würdevollen letzten Lebensphase nicht auf die Frage einer Mitwirkung beim Suizid verengt werden sollte. Der Wunsch, ein Leben in Würde und möglichst ohne Schmerzen beenden zu können, erfordert nämlich vor allem, dass wir die palliativmedizinische Versorgung und das Hospizwesen ausbauen, also den Menschen bessere Möglichkeiten an die Hand geben, um die Achtung ihres Selbstbestimmungsrechts auch in der letzten Phase des Lebens sicher zu stellen, sowie es unsere Rechtsordnung bereits erlaubt.

Bereits nach geltendem Strafrecht ist es nämlich möglich und sogar geboten, jede lebensverlängernde Behandlung eines Patienten, etwa eine künstliche Ernährung, einzustellen, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Es ist ferner möglich, entsprechend dem Willen des Sterbenden der Linderung von Schmerzen Vorrang zu geben, selbst wenn das unbeabsichtigt auch zu einer Lebensverkürzung führen könnte. Ärzte sind nicht verpflichtet, verlöschendes Leben unter Einsatz aller medizinischen Möglichkeiten unter Umständen qualvoll zu verlängern. Die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist im Gegenteil sogar rechtswidrig und kann als Körperverletzung strafbar sein, wenn sie dem Patientenwillen widerspricht, selbst wenn die Verweigerung des Eingriffs medizinisch unvernünftig erscheinen mag.

Wichtig ist dabei, dass der Wille des Einzelnen bekannt ist. Patientenverfügungen können hier eine wesentliche Grundlage für den behandelnden Arzt oder das Pflegepersonal darstellen, den Willen des Patienten zu ermitteln, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, einen solchen zu äußern. Daher wurde in der Koalitionsvereinbarung für die aktuelle Legislaturperiode vereinbart, die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzuführen und abzuschließen. Derzeit werden verschiedene Gesetzentwürfe von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorbereitet.


Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Bernd Bösert

 

Die oben zitierte Seite A 1298 des Jahrgangs 2004 des Deutschen Ärzteblatts ist in der Online-Ausgabe zu finden:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=41760

 

Zur berufsrechtlichen Problematik der Suizidbeihilfe durch Ärzte habe ich an die Patientenbeauftragte der Bundesregierung geschrieben, die mir folgendes Antwortschreiben geschickt hat:

 

Berlin, 14. November 2007

Sehr geehrte Frau Bemstein-Bothe,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 13. Oktober 2007. Sie machen mich darin auf einen Unterschied zwischen der strafrechtlichen und der standesrechtlichen Bewertung der Suizidbeihilfe durch Ärzte aufmerksam.

Wie Sie vielleicht wissen, hat der Bundestag in diesem Jahr darüber beraten, wie Patientenverfügungen gesetztlich geregelt werden können. Dabei geht es aber nicht um das von Ihnen erwähnte Thema Sterbehilfe. Aber auch wenn dieser Begriff immer wieder in den aktuellen Diskussionen fällt, ist mir wichtig zu betonen, dass aktive Sterbehilfe verboten ist und dass auch in Zukunft in Deutschland bleiben muss. Das verfassungsrechtlich verbürgte Lebensschutzgebot und das Gebot der Achtung der Würde des Menschen bedeutet, dass der Staat eine aktive Tötung nicht hinnehmen darf - auch nicht kurz vor dem Eintritt des Todes. Davon darf es keine Ausnahme geben. Niemand, auch nicht ein Schwerstkranker, kann einem anderen die Befugnis zu seiner Tötung geben.

Es geht bei der Diskussion vielmehr darum, wie Patientinnen und Patienten im voraus festlegen können, wie sie medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden möchten, falls sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst zustimmungsfähig sein sollten.

In der Debatte im Bundestag hat sich gezeigt, dass noch viele Fragen im Hinblick auf Patientenverfügungen offen sind. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie wir damit umgehen wollen, dass wir letztlich nie sicher wissen werden, ob die Patientin oder der Patient nicht in der akuten Krisensituation doch lebenserhaltende Maßnahmen gewünscht hätte.

Patientinnen und Patienten, aber auch Ärzte und Angehörige brauchen aber - und darin stimme ich mit Ihnen überein - Rechtssicherheit. Denn diejenigen, die eine Patientenverfügung verfassen, wollen sich darauf verlassen können, dass diese Verfügung Beachtung findet. Und für die, die eine Verfügung befolgen, die letztlich auf den Tod eines Menschen abzielt, muss die Sicherheit bestehen, dass sie sich weder juristisch noch moralisch schuldig machen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass keine standesrechtlichen Sanktionen drohen.

Auch wenn wir noch keine abschließenden Ergebnisse gefunden haben, bin ich doch sicher, dass solche Regelungen am Ende der Diskussion stehen werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser Information weiterhelfen. Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie mein Team und mich unter der oben genannten Rufnummer erreichen.


Mit freundlichen Grüßen
Helga Kühn-Mengel

 


Auf meine erneute Anfrage, wie ich mir das Verfahren standesrechtlicher Sanktionen gegen einen Arzt konkret vorzustellen habe, hat mir Frau Kühn-Mengel geschrieben, die standesrechtlichen Sanktionen gegen Ärzte seien in den Heilberufegesetzen der Länder geregelt.

 

Berlin, 23. Januar 2008

Sehr geehrte Frau Bernstein-Bothe,

vielen Dank für Ihre erneute E-Mail vom 17. November 2007. Gerne komme ich - im Rahmen meiner Möglichkeiten - Ihrer Bitte um Informationen über das Verfahren standesrechtlicher Sanktionen nach.

Die Tätigkeit der Heilberufekammern, also auch der Ärztekammern, wird nicht durch Bundesrecht, sondern durch Landesrecht geregelt. Zu Ihrer Information lege ich diesem Schreiben als Beispiel für diese Regelungen einen Abdruck des Heilberufegesetzes Bremens bei.

Wie Sie § 65 des Heilberufegesetzes Bremens entnehmen können, stehen dem Berufsgericht in Bremen als Maßnahmen für ein Berufsvergehen Verweis, Geldbuße, Entziehung des aktiven und passiven Berufswahlrechts und die Feststellung, dass der Beschuldigte unwürdig ist, den Beruf eines Arztes auszuüben, zur Verfügung.

Die näheren Bestimmungen zum Verfahrensablauf finden sich in den §§ 73 ff. Heilberufegesetz Bremen. Die Ärztekammer führt demnach zunächst Ermittlungen durch und hört den Beschuldigten an. Ergibt sich nach den Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht, kann die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens beantragt werden.

Ich habe oben bereits erwähnt, dass es sich bei diesen Regelungen um Landesrecht handelt, also um eine Rechtsmaterie, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheidet oder zumindest unterscheiden kann.

Als Ansprechpartner für Ihre konkreten Fragen möchte ich Ihnen daher die jeweilige Landesärztekammer bzw. dass für das Recht der Heilberufe zuständige Landesministerium / den zuständigen Landessenat empfehlen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser Information weiterhelfen. Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie mein Team und mich unter der oben genannten Rufnummer erreichen.


Mit freundlichen Grüßen
Helga Kühn-Mengel

 

Heilberufsgesetz Bremen (HeilBerG) - http://www.aekhb.de/pdf/HBHeilBerG.pdf
Gesetz über die Berufsvertretung, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Tierärzte und Apotheker

Beim Institut für Kammerrecht sind die Gesetze der Heilberufskammern der Bundesländer zu finden:
http://www.kammerrecht.de/kammergesetze/berufskammern.html

 

Im März 2009 widerspricht Herr Taupitz, Professor für Medizinrecht und Mitglied des Deutschen Ethikrates, der Auffassung, Ärzten sei die Suizidbeihilfe durch das Standesrecht untersagt. "In den Standesrichtlinien heiße es lediglich, dass Suizidhilfe unethisch sei - darüber könne sich aber jeder Arzt problemlos hinwegsetzen." http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,611957,00.html

Im Juli 2010 gibt die Bundesärztekammer die Studie >Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft< heraus. In einer Befragung des Allensbach-Instituts hat ein Teil der Ärzte die Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids befürwortet.
Pressemitteilung vom 17.07.2010: http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=3.71.7962.8666.8669

Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung sind im Februar 2011 aktualisiert worden.
In der Präambel steht nun der Satz: „
Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“ http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Sterbebegleitung_17022011.pdf
Im Juni 2011 hat der Deutsche Ärztetag das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung in der (Muster-)Berufsordnung beschlossen. In §16 Beistand für Sterbende heißt es nun ausdrücklich: „Ärztinnen und Ärzte … dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.100.1143

 

 

 

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September 2007 - http://sterberecht.homepage.t-online.de - Letzte Aktualisierung: 17.09.11